Heimat- und Traditionsverein Hallbergmoos

Wir führen Heimat, Tradition und Gegenwart zusammen

Vorwort

Angeregt durch die Recherchen zum 2. Weltkrieg und die Tatsache, dass die 150-Jahrchronik Wilhelm Pflüger gerade vier Sätze widmete, kam ich zu dem Entschluss, diesem mutigen Pfarrer ein Sammelblatt seiner Goldacher Zeit zu widmen. Sein gesamtes Wirken hat Ortschronist Helmut Größ aus Vierkirchen bereits vor Jahren erstellt und kann im Internet unter www.kirchenundkapellen.de/kirchenpz/vierkirchenzwilhelmpflueger.htm nachgelesen werden. Dabei hat sich der Chronist zur Goldacher Zeit von Pfarrer Pflüger auf den Bericht seines Neffen Fritz Pflüger, „ biografische Skizzen über meinen Onkel, Pfarrer Wilhelm Pflüger“ gestützt. Diesen und einen weiteren Bericht „Erinnerungen an Pfarrer Wilhelm Pflüger in Goldach“ sowie etliche Dokumente und Fotos hat mir sein Neffe Fritz Pflüger freundlicherweise zur Verfügung gestellt und deren Veröffentlichung schriftlich genehmigt. Voranstellen möchte ich ein Foto von Pfarrer Pflüger.

 

Ungekürzte „Biografische Skizzen über meinen Onkel, Pfarrer Wilhelm Pflüger“, von Fritz Pflüger

Willi Pflüger wurde am 9.3.1906 in München-Riesenfeld als vierter von insgesamt 8 Söhnen der Eheleute Karl Friedrich und Karoline Pflüger, geb Lohrer geboren.

Nach dem Besuch der Volksschule in Milbertshofen kam Onkel Willi an das Luitpoldgymnasium. Nach dem Abitur wurde er in das Priesterseminar in Freising aufgenommen. Er folgte damit dem kategorischen Beschluß von Vater Pflüger, dass jeder zweite seiner Buben Priester werden müsse. Am 29. Juni 1932 erhielt Willi Pflüger im Freisinger Dom die Priesterweihe. Anschliessend feierte er in St Sebastian in München (Schleißheimerstrasse) die feierliche Primiz mit seinem älteren Bruder Karl und dem Stadtpfarrer von St. Sebastian als Konzelebranten.

Das Foto zeigt Pfarrer Pflüger bei seiner Primiz in München-Milbertshofen und stammt von seinem Neffen Fritz Pflüger.

Am 16.7.1932 begann seine berufliche Laufbahn als Koadjutor in Rieden bei Starnberg. Weitere Aufgaben als Koadjutor folgten in Tacherting, Grasssau und Lengdorf. Die erste Kaplanstelle bekam er am 1.11.1933 in Bad Reichenhall, und a 15.2.1934 in Töging am Inn. Besondere Aufgaben sah er in der Aufbau - und Betreuungsarbeit der katholischen Jugend. Am 1.6.1935 kam er als Kooperator nach Aufkirchen am Würmsee (Starnbergersee) und schliesslich am 1.5.1936 nach Inzell. Dort nahm er Kontakte zu Mitgliedern seiner früheren Pfarrei in Bad Reichenhall auf und webte ein feines Netz von Antifaschisten. 1937 war er Kooperator in Neufahrn/Freising und ab 1.9.1938 zog er in den Pfarrhof in Goldach ein. Kirchlich gehörte er zur Pfarrei Hallbergmoos. In seinem Bereich lag Schloß Birkeneck, mit dessen Patres er schnell Fäden
knüpfte und zusammen mit anderen Gleichgesinnten ein antifaschistisches Netzwerk auf- und ausbaute. Er fand Helfer unter den Landwirten, Intelektuellen aus der Kreisstadt Erding, aus Wartenberg/Moosburg und aus München. Auch in Goldach widmete er sich intensiv der Jugendarbeit, gründete Theatergruppen für Kinder und Jugendliche, baute das Ministrantenwesen aus. Ein besonderer Schwerpunkt war die Förderung der vokalen und instrumentalen Kirchenmusik. Dabei war die Anschaffung einer neuen Orgel für die Goldacher Kirche ein Kraftakt und besonderer Höhepunkt(auch erwähnt in der 150-Jahrchronik). Ich selbst habe seit meinem 10. Lebensjahr immer Chorproben in Goldach am Klavier begleitet. Als 1940 der Lehrer zur Wehrmacht eingezogen wurde, beorderte mich Onkel Willi auf die Orgelbank, was später zu meinem Musikstudium führte.

Aus den früheren Pfarreien kamen immer wieder Besuche, Chöre, Burschenverein, Bauern, um wieder eine „anständige Predigt“ zu hören. Es waren sehr mühevolle Reisen, die diese Leute auf sich nahmen. Am 16.8.1939 wurde Pfarrer Willi Pflüger im Goldacher Pfarrhof verhaftet und in das Wittelsbacher Palais, dem Gestapohauptquartier in München, verbracht (vergleiche Schutzhaftbefehl vom 16.8.39, hier links abgebildet). Dort traf er nach und nach seine 7 Brüder und seien hochbetagten Vater. Jetzt ahnte er den Verhaftungsgrund. Nach und nach traf er eine Reihe seiner Freunde, die ebenfalls am gleichen Tag in einer groß angelegten Aktion verhaftet wurden. Die von Freiherr Harnier organisierte bayerische monarchistische Widerstandsbewegung, die unter dem Decknamen „Schmied von Kochel“ arbeitete und der von Willi Pflüger mit iniziierte katholische Widerstandskreis waren mit einem Schlag aufgeflogen. Aber warum? Man kannte sich gegenseitig und jeder hatte zu jedem volles Vertrauen. Schriftliche Dokumente wurden nicht verfertigt oder gesammelt, nur hektografierte Flugblätter.

Das Rätsel löste sich nach den ersten Vernehmungen. Ein Gestapospitzel konnte sich das Vertrauen eines im Widerstand tätigen Münchner Polizeibeamten erschleichen, arbeitete intensiv an der Herstellung und Verteilung von Flugblättern mit, wurde nach und nach zu Versammlungen eingeladen, war schließlich so eine Art Verbindungsmann zwischen verschiedenen Gruppen. So konnte er geduldig Namen und Adressen sammeln und an die Gestapozentrale melden.

Willi Pflüger kam in das Gefängnis Neudeck in „Schutzhaft“ (der Schutzhaftbefehl ist hier abgebildet). Vor wem sollte er geschützt werden?

Im Prozess vor dem Volksgerichtshof unter seinem Präsidenten Freisler stützte sich die Anklage auf Hochverrat bzw. Vorbereitung hierzu. In diesem Prozess wurde der Bruder von Pfarrer Pflüger, Heinrich Pflüger, zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt, anstelle der beantragten Todesstrafe. Bis zur Befreiung durch die Amerikaner verbüsste er die Strafe in Straubing, zusammen mit Freiherr von Harnier und anderen prominenten Mitgefangenen. Harnier starb am 12.5.1945, dem Tag der Befreiung.

Pfarrer Pflüger kehrte nach der Haft in Neudeck wieder nach Goldach zurück. Trotz eindringlicher Ermahnung durch Gestapo und Ordinariat begann er sofort wieder Verbindung zu Gesinnungsgenossen aufzunehmen. Ausserdem hielt er sich nicht an das Predigtverbot. Er begründete dies damit, dass er den Verkündigungsauftrag(also auch Predigtauftrag) von seinem Bischof bei der Priesterweihe erhalten habe. Er lasse sich das Predigen nun weder von den Nazis noch von dem Generalvikar verbieten. Er war auch nicht bereit, sich zu verstecken. Im Gegenteil:

Eines Sonntags erklärte er mir vor der Messe, ich solle nach dem Evangelium mit der Gemeinde Lieder singen, Marienlieder, denn es war Mai. Pfarrer Pflüger zog nach dem Evangelium mit den Ministranten vor das Kirchenportal. Dort waren im Friedhof die Honoratioren, bzw. diejenigen die sich dafür hielten, zusammen mit dem Bürgermeister in reger Diskussion versammelt. Der Pfarrer hielt ihnen eine Predigt, die sich gewaschen hatte. Nach der Predigt mussten sie das Vaterunser beten und zum Schluss knieend den Segen empfangen. Am nächsten Tag fuhr eine Abordnung nach München und beschwerte sich beim Kardinal. Der Bürgermeister beschwerte sich bei der NSDAP-Kreisleitung, und so wurde Pfarrer Pflüger erneut verhaftet, blieb ohne Gerichtsurteil wochenlang im Gestapogefängnis.

Kaum zurück in Goldach, nahm Pfarrer Pflüger wieder Verbindung auf zu den alten bzw. neuen Vertrauten. Die Alliierten hatten nun die Invasion verstärkt, das Ende dieses mörderischen Krieges war abzusehen. Also musste für die Zeit nach der Naziära vorgesorgt, und geeignete Leute für die Übernahme politischer Ämter gefunden werden. Ausserdem mussten Organisationsstrukturen für politische Parteien entwickelt werden. Es mussten Leute gefunden werden, die Verhandlungen mit den Alliierten Besatzungstruppen führen.

Nachdem Pfarrer Pflüger ausserdem erneut weiter predigte, verhaftete ihn die Gestapo im Dezember 1944 erneut und steckte ihn in das KZ Dachau in Schutzhaft. Die Verbindung zur Familie, zur Pfarrei und zu seinen Freunden war jäh unterbrochen. In Absprache mit meinem Vater und einem Onkel, der in München bei einer Nachrichtenkompanie stationiert war, lieh ich mir von einem Schulkameraden eine HJ-Uniform und konnte so fast regelmässig zu Onkel Willi, bzw. einem Vertrauten in der Poststelle des KZs, um so Post und Lebensmittelpäckchen von Großmutter abzuliefern. Kurierdienste machte ich schon länger, und so wusste ich, wie ich mich zu verhalten hatte.

Als die Amerikaner Augsburg eingenommen hatten, wollte die SS das KZ bzw. die noch übrig gebliebenen Gefangenen nach Garmisch bringen. Der Zug durch das Amper- bzw Ammertal war eine Tragödie. Wer nicht mehr laufen konnte, wurde erschossen. Eine Ammerbrücke wurde samt Gefangenen gesprengt! Vor dem Abmarsch aus Dachau steckte ein befreundeter Arzt, der dort als Sanitäter arbeitete, Onkel Willi kurzerhand in die Typhusstation. Diese wurde nicht geräumt, weil die Nazis eine Epidemie befürchteten. Als die Amerikaner das KZ befreiten bzw. besetzten, verhängten sie über die Typhusabteilung sofort eine Quarantäne. Das hatte zur Folge, dass jeglicher Nachrichtenaustausch unmöglich war.

Die Angehörigen von Pfarrer Pflüger suchten nun mit Hilfe der Besatzungsmächte die Güterwaggons im KZ und die „Todesstrecke“ in das Ammertal ab, um wenigstens eine Spur vom lebenden oder vom toten Pfarrer Pflüger zu finden. Nichts!

Eines Tages erhielt mein Vater in München einen Anruf vom Dachauer Pfarrer dass Onkel Willi ihm über den Fahrer des Milchautos eine Nachricht zukommen liess. Die Amerikaner lehnten eine Entlassung ohne Aufhebung der Quarantäne ab. So wurde mit den Milchautofahrern vereinbart, dass sie einen Arbeitsanzug für Onkel Willi mitnehmen, ihn im KZ einkleiden und ihn dann zum Pfarrhof Dachau bringen. So geschah es, dass Pfarrer Willi Pflüger aus dem befreiten KZ Dachau flüchten musste.

Er kehrte umgehend in den Pfarrhof Goldach zurück. Zusammen mit ehemaligen KZ-Gefangenen, die seine Haltung während der Nazizeit kannten, gründete er die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) und wurde deren Vorsitzender.

In München wurde ein Gedenkgottesdienst für die Verfolgten des Naziregimes in St. Bonifaz gehalten mit Weihbischof Dr. Neuhäusler, dem Abt der Benediktiner und Pfarrer Willi Pflüger, der auch die Predigt halten durfte. Der Domchor führte mit Solisten, unter anderem Luise Pflüger, Sopran, Friedrich Pflüger, Bass, und Musikern der Staatsoper und des Rundfunks das Mozartrequiem auf. Radio München (heute Bayer. Rundfunk) übertrug den Gottesdienst. Von vielen seiner Wirkungsstätten kamen in der Folge Briefe an Pfarrer Pflüger in Goldach.

Der Pfarrhof wurde erneut von Leuten aller politischen Richtungen besucht, um gemeinsame Vorschläge für eine freiheitliche Zukunft zu erarbeiten. So waren der erste Wirtschaftsminister Loritz von der WAV (Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung, Alfred Loritz war laut Wikipedia von Dez 46 bis Juni 47 bayerischer Staatsminister für Entnazifizierung), der spätere CSU Kultusminister Hundhammer, Mitglieder der Bayernpartei, der spätere Präsident des Landesentschädigungsamtes Dr. Auerbach, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde München und viele andere spätere Mandatsträger im bescheidenen Pfarrhof in Goldach. Der inzwischen aus dem Zuchthaus Straubing befreite Bruder des Pfarrers, Heinrich Pflüger, wurde Vizepräsident des Landesentschädigungsamtes und Mitglied des 1 .Bayerischen Landtags nach dem Krieg. Pfarrer Pflüger lehnte eine angebotene Kandidatur für ein politisches Mandat ab.

Die Amerikaner inhaftierten den Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von Goldach. Sie machten ihm den Prozess und luden Pfarrer Pflüger als Zeuge. Das Ordinariat München erteilte Pfarrer Pflüger ein Aussageverbot!! An dieses Verbot hat er sich aber ebenso wenig gehalten wie an die früheren Predigtverbote.

Ende 1951 fuhr ich Onkel Willi, der keinen PKW-Führerschein hatte, nach Vierkirchen. Er wollte sich Pfarrhof und Kirche anschauen und sich in ruhigeres Fahrwasser zurückziehen.

Ab 31.1.1952 wurde er Pfarrer in Vierkirchen. (Berufungsschreiben, rechts in der Abbildung). Inzwischen kam sein Bruder, Pfarrer Luitpold Pflüger aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Er war bis zu seiner Verhaftung 1939 Kaplan in Weichs. Er wurde im Vierkircher Pfarrhof aufgenommen, liess sich verwöhnen, half seinem Bruder in der Seelsorge und zog nach völliger Genesung nach München.

Pfarrer Willi Pflüger spürte nun die Folgen der Strapazen von Haft und Verfolgung, so dass er sich in die Pfarrei Elbach im Leitzachtal/Kries Miesbach versetzen liess. Dort besuchte ich ihn wiederholt mit Gruppen junger Flüchtlinge aus der damaligen SBZ (Sowjetisch besetzte Zone). Pfarrer Pflüger organisierte Unterkunft, gab den jungen Leuten Einblick in die Zeit während der Naziherrschaft. Er liess sie am
liturgischen Geschehen teilnehmen und erklärte alles mit großer Geduld. Den Jugendlichen waren ja bisher religiöse Betätigung und Gottesdienst verboten.

Die Wiederbelebung der Kirchenmusik bzw. deren Ausbau waren Pfarrer Pflüger auch in Elbach ein großes Anliegen. Dabei unterstützten ihn tatkräftig zwei ehemalige Gesangsschüler seiner Schwägerin, Frau Professor Luise Pflüger aus München. Diese Elbacher Lehrer unterstützten ihren Pfarrer nach besten Kräften.

Es kam aber die Zeit, dass Onkel Willi einsehen musste, dass er gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, einen Pfarrdienst so auszuüben, wie er es von sich bisher verlangt hatte. Er ließ sich in den Ruhestand versetzen, kaufte ein Haus in der Nähe von Bad Tölz, in Krailing, und versah noch als Benefiziant die Seelsorge in Ellbach bei Tölz.

Am 12. Oktober 1967 verstarb Pfarrer Wilhelm Pflüger nach einem arbeitsreichen und kämpferischen Leben. Ohne seinen eisernen Willen, dem Rückhalt der Familie und der Unterstützung zahlreicher Freunde hätte er diese Leistungen nicht erbringen können.
Die große Enttäuschung für Pfarrer Pflüger war aber die mangelnde Fürsorge durch das Ordinariat in München. Das angepasste Verhalten seiner Kirche, der Abschluß des Konkordats zwischen Vatikan und dem Naziregime, das Schweigen zur Judenvernichtung, die Duldung der Verhaftung und Ermordung kirchlicher Mitarbeiter und Priester aller Konfessionen, all das nährte immer wieder Zweifel an der moralischethischen Zuverlässigkeit seiner Kirche.

Für mich war Onkel Willi d i e Vertrauensperson. Durch ihn wurde mein politischer Verstand und die Pflicht zur Übernahme sozialer Verantwortung geprägt. Er hat mich schon früh in die Kirchenmusik eingebunden und letztlich meine Liebe zur Orgel geweckt. Dafür danke ich ihm.

Soweit der Originalbericht seines Neffen Fritz, der ab 1939 stets am Wochenende mit dem Fahrrad zu seinem Onkel nach Goldach fuhr, wo dieser ab 1. September 1938 als Seelsorger wirkte. Sein Onkel hat ihn stark in die Arbeit mit eingebunden und ab 1940 als Organisten eingesetzt. Versorgt wurde Pfarrer Pflüger von seiner Mutter, die mit ihm als Haushälterin ins Pfarrheim eingezogen war. Gegen Kriegsende folgte auch noch ihr Mann und hat den Bombenabwurf im Juni 1944 im Garten des Pfarrhofes erlebt, wo er von unzähligen Glassplittern im Gesicht getroffen worden war, was er nach Aussagen seines Neffen als persönlichen Angriff der Alliierten auf einen Nazigegner empfunden hat. Die Beschädigung des Goldacher Pfarrhofes wurde auch vom Hallbergmooser Pfarrer Morasch im Bericht an den Kardinal Faulhaber bestätigt.

„Erinnerungen an Pfarrer Wilhelm Pflüger in Goldach“ von seinem Neffen Fritz Pflüger

Ich habe meinen Onkel ab 1939 regelmäßig an den Wochenenden mit dem Fahrrad von München aus besucht und dann den Kirchenchor bei den Proben im Pfarrhof am Klavier begleitet.

1940 wurde der Organist, Lehrer Bürger(?) zum Militär eingezogen. Mein Onkel erklärte mir nach einer Chorprobe, „morgen musst Du Orgel spielen!“ Auf meinen Einwand, dass ich das nicht könne, erklärte er: „Wer Klavier spielt, kann auch Orgel spielen. Basta!“ Ich suchte dann meinen Freund Uli, weil jemand den Blasebalg treten musste.

Onkel Willi war ein großer Anhänger von Padre Don Bosco und hatte viel für die Jugend übrig. Er organisierte Theater- und Spielabende und Kinderfasching. Man traf sich in der Schule oder im Pfarrhof und marschierte dann zum „Neuwirt“, ich mit dem Akkordeon voraus.

Während der Predigt an einem Hochfest gerieten auf der Empore 3 Chormitglieder in Streit wegen eines Viehhandels. Mein Onkel unterbrach erbost und brüllte: „Kennsts Eich Ihr Bauernbüffe net benehma? Wenn koa Ruah is, dann schmeiss i Euch naus!“

Beim Stammtisch im „Altwirt“ maulten einige Bauern wegen obigem Ereignis. Er erkärte ihnen dann geduldig den Unterschied zwischen Wirtshaus und Kirche. Während der Messfeier „verlange ich unbedingte Disziplin!“

Gerne organisierte er Ausflüge mit dem Chor. Einmal fuhren wir mit einem Holzvergaser-LKW nach Inzell. Als Sitze dienten Holzbänke. Wegen der Nachfüllaktionen auf der Autobahn wurden einige Sänger ziemlich eingeschwärzt. Am nächsten Tag war Bergmesse auf dem Inzeller Rauschberg. Einige anwesende Bergfreunde wollten nicht akzeptieren, dass der Mann in Lederhosen ein echter Priester sei. Als er dann im Ornat die Messe feierte und eine mitreissende Predigt hielt, da waren auch die letzten Zweifler überzeugt.

Pfarrer Pflüger hatte nur einen Motorradführerschein. Nach dem Krieg kaufte er ein Auto. Als Fahrer half meist der Schreinermeister aus Hallbergmoos. Eines Tages wollte Onkel Heini (MdL, Ehemann von Leni Pfanzelt) seinem Bruder das fahren beibringen. Als Übungsgelände diente der Hof von Pfanzelts im Notzingermoos. Nach genauer Einweisung setzte sich Onkel Willi an das Steuer, gab Gas und fuhr durch das geöffnete Scheunentor, durch die Scheunengasse und mit Vollgas durch das hintere geschlossene Tor und blieb auf der Rückseite des Hofs im Misthaufen stecken. Leichenblass stieg er aus und erkläret: „I lass mi doch liaba fahrn!“

Pfarrer Pflüger war ein kunstbegeisterter Mensch. Er organisierte kleinere und grössere Fahrten zu Klöstern und bekannten Kirchen in Bayern und Österreich. Dabei staunten wir immer wieder über sein fundiertes Wissen zu Baustilen und Ausstattungsdetails. Auffallend war dabei, dass er meist von den Verantwortlichen freundschaftlich begrüsst wurde.

Der Goldacher Pfarrhof war während des Kriegs ein Ort des organisierten Widerstands gegen die Naziherrschaft und Zufluchtsort für Verfolgte. Wiederholt trafen sich Pfr. Pflüger und sein Bruder Pater Karl Pflüger mit Pater Rupert Mayer SJ aus München. Nach dem Krieg waren u.a. der Präsident der israelitischen Kultusgemeinde Bayern, Philipp Auerbach, Minister Dr. Hundhammer, Weihbischof Dr. Neuhäusler, namhafte Kunstmaler und Musiker Gäste im Goldacher Pfarrhof. Die Fäden spann meist der Bruder, Heinrich Pflüger, MdL und Vizepräsident des Bayer. Landesentschädigungsamtes. Ob Arbeiterführer oder Adeliger, alle waren gleich willkommen.

Pfarrer Pflüger war ein musikalischer Mensch, er hat begeistert im Chor mitgesungen. Bei einer Festmesse war der einzige Tenor erkrankt. Pfr. Pflüger hat sofort den Part vom Altar aus übernommen und ohne Probleme bewältigt.

Mit Hilfe seines Bruders Friedrich Pflüger, Opernsänger aus München wurden Musikanten und Solisten organisiert und grössere Messen aufgeführt (Niccolaimesse, Theresienmesse, Krönungsmesse). Dabei übernahm die Schwägerin und Musikprofessorin, regelmäßig die Sopranpartien. Die Goldacher Kirche war immer voll besetzt.

Während des Krieges ließ Pfr. Pflüger von einem Salzburger Orgelbauer eine neue Orgel in der Goldacher Kirche aufstellen. Die Organisten Leni Pfanzelt und Fritz Pflüger freuten sich riesig. Die Baukosten verteilte Pfarrer Pflüger auf die Goldacher Landwirte entsprechend ihrer Einkommenslage. Das gab wieder Anlass zu einer Protestfahrt zum Kardinal nach München.

Als der Vater von Pfarrer Pflüger im Januar 1946 im Pfarrhof Goldach verstarb, wollte man ihn zur Bestattung nach München überführen. Die Stadtverwaltung München weigerte sich, einen Leichenwagen nach Goldach zu schicken. So wurde der Sarg auf dem Dach des Autos von Pfarrer Pflüger mit Stricken befestigt, ein Kranz am Kofferraumdeckel. So fuhr ihn Onkel Heini mit Großmutter, Onkel Ernst und Pfarrer Pflüger zum Nordfriedhof nach München. Dabei mussten die Türen, die wegen der Seile nicht schließen konnten, von innen zugehalten werden.

Soweit die schriftlichen Erinnerungen, die mir sein Neffe übermittelt hat. Im weiteren sollen Zeitzeugen aus Goldach zu seiner Expositurzeit von 1938-1952 zu Wort kommen.

Zeitzeugen aus Goldach zu seiner Expositurzeit von 1938-1952

Leni Schäfer, Jahrgang 1942, hatte Pfarrer Pflüger als Religionslehrer in der Schule. Bei ihm herrschte immer Ordnung, er hat auch das Tatzensteckerl benutzt, wie sich auch andere Zeitzeugen erinnern. Die Buben bekamen schon einmal eine Kopfnuss oder er kniff ihre Wangen. Das bis in die 50iger Jahre übliche Stehen hinter der Tafel hat auch er praktiziert, wie mir von mehreren Zeugen berichtet wurde.

Nach der Maiandacht erzählte er immer ganz gruselige Geistergeschichten, die er aber nie zu Ende erzählt hat. Erst am nächsten Tag folgte das Ende und eine weitere Geschichte ohne Ende, sodass wir gezwungen waren, am nächsten Tag wieder die Maiandacht zu besuchen.

Der Pfarrhof war am Sonntag der Treffpunkt von uns Kindern. Pfarrer Pflüger spielte mit uns Fangen und Verstecken. Uns gehörte das ganze Pfarrhaus. Seine Mutter schimpfte immer einmal wieder, wenn es ihr zu bunt wurde.

Frida Häuslmeir, Jahrgang 1935, sang im Kinderchor, in dem ungefähr 20 Kinder, überwiegend Mädchen sangen. An Ostern trat der Kinderchor zusammen mit dem Kirchenchor auf. Auch an Konzerte erinnert sie sich. Das nächste Foto zeigt Pfarrer Pflüger und Lehrer Bürger, verkleidet als Frau, nach einem Chorauftritt zum Erntedankfest. Das nächste Foto zeigt die beiden Bürgermeister Zeilhofer und Mittermaier von Hallbergmoos und Notzing, als sie von Lehrer Bürger einen Erntedankkranz aufgesetzt bekommen.

 

Sie erinnert sich an 4-5 Ausflüge nach dem Krieg mit Pfarrer Pflüger nach Inzell. Die Ausflüge wurden mit einem Holzvergaser-Lkw vom Fuhrunternehmer Furtner, der normalerweise Milchkannen fuhr, unternommen. Übernachtet wurde im Heu des Ramslerhofes, dessen Bäuerin auch die mitgebrachten Kartoffel kochte. Mit dabei war auch Geräuchertes und Gemüse. Gewaschen wurde sich im Trog im Freien mit dem fließend kalten Wasser aus dem Brunnen. Die Fahrten dauerten fünf Tage und auf dem Programm standen Wanderungen auf den Rauschberg oder eine Fahrt nach Bad Reichenhall. Diese Tage waren ein besonderes Erlebnis. An die Fahrt mit dem Holzvergaser-Lkw erinnert sich ebenfalls Frau Busl.

 

Die beiden Fotos darüber stammen von einem der Ausflüge. Links ist die Goldacher Gruppe an einem See mit Lehrer Bürger in der Mitte und Pfarrer Pflüger rechts zu sehn. Das rechte Foto wurde auf dem Ramslerhof aufgenommen und zeigt die Mädchen und Jungen zusammen mit Pfarrer Bürger in der Mitte und Lehrer Bürger auf der rechten Seite. Die vier Fotos wurden mir freundlicherweise von Frida Häuslmeir zur Verfügung gestellt.

Pfarrer Pflüger ließ auch die Friedenskapelle im Friedhof errichten. An der inneren Stirnseite war eine Madonna aufgemalt und zu Weihnachten war eine Krippe aufgebaut. In späteren Jahren wurde die Kapelle als Leichenhaus genutzt.

Frau Häuslmeir erinnert sich auch noch daran, dass in der Nazizeit das Kreuz aus dem Klassenzimmer entfernt werden musste und danach durch drei Mütter wieder aufgehängt worden war.

Das Fazit von Frau Häuslmeir, Pfarrer Pflüger war ein Organisator.

Im Jahr 1940 wurde Pfarrer Pflüger durch den Aushilfspriester Balthasar Gumpertsberger und während seines KZ-Aufenthalts von Expositus Dr Joachim Birkner vertreten, der auch einen ausführlichen Bericht über das Kriegsende in Goldach in dem zweibändigen Werk „Das Ende des Zweiten Weltkriegs im Erzbistum München und Freising“ auf den Seiten 1367 bis 1369 verfasst hat.

Pfarrer Pflüger starb am 12. Oktober 1967 in Altötting und wurde am Nordfriedhof beerdigt.

Zusammenfassung

Dieses Sammelblatt spiegelt die Gegensätze während des Dritten Reiches dar und zeigt aus unserer nächsten Umgebung die Menschenverachtung der Diktatur auf. Es ist dem Gedenken an einen mutigen Zeitgenossen gewidmet, der sich nicht durch die Tyrannei unterkriegen ließ.


Karl-Heinz Zenker
Hallbergmoos, September 2014

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