Heimat- und Traditionsverein Hallbergmoos

Wir führen Heimat, Tradition und Gegenwart zusammen

Ein paar Sätze vorweg

Liebe Mitglieder und Freunde des Heimat- und Traditionsvereins Hallbergmoos,
Hallbergmoos ist mit knapp 200 Jahren eine junge Gemeinde in unserer Region, aber auch in dieser historisch kurzen Zeit ist viel geschehen, das nicht im Dunkel der Geschichte verloren gehen und vergessen werden sollte. Ich werde mit unregelmäßig erscheinenden Berichten „Mein Blick von außen“ die „Sammelblätter“ unseres Vorstands Karl-Heinz Zenker zu ergänzen versuchen und beginne diese Reihe mit einem kommentierten Bericht zum tragischen Tod von Lorenz Kindshofer 1875. Er war übrigens der Bruder meines Urgroßvaters Anton K. (1840-1909) und in der eigenen Familiengeschichte zu forschen und Verborgenes auszugraben, das ist allemal interessant.

Eching, im November 2022

Josef Moos

Am 19. Februar 1875 berichtete die Münchener Tageszeitung: „Der freie Landesbote: unabhängiges Organ für die Vertretung freiheitlicher Bestrebungen“ über einen Prozess am Schwurgericht München mit den einführenden Worten:

„Auf der Anklagebank sitzt ein Bengel und auf der Tribüne liegt ein Prügel und mit diesem Prügel hat der Bengel einen Menschen niedergeschlagen, wie ein Metzger einen Ochsen. Der Prügel zerbrach in drei Stücke und der Bengel kommt ins Zuchthaus“.

Der Bengel war der Söldnerknecht Josef Eckart von Goldach, das Opfer der Gütler Lorenz Kin(d)shofer von Mariabrunn. Im Folgenden ist der Bericht des Gerichtsreporters kommentiert wiedergegeben, denn so kraftvoll realistisch wie dieser die Vorgeschichte und die Tat selbst anhand des Prozesses beschrieb, das ist kaum zu übertreffen. Die Rechtschreibung des Zeitungsartikels wurde beibehalten, die eingeschobenen Kommentare könnten lehrreich für junge Leserinnen und Leser sein, denen manche Gewohnheiten und Bezeichnungen aus dieser Zeit fremd bis unbekannt sein dürften.

Die Geschichte hat sich folgendermaßen zugetragen: Im Wirtshause des Anton Schäffer zu Hallbergmoos, Gerichts Freising, zechten am Kirchweihsonntag, den 18. Oktober v. J., Nachmittags, an verschiedenen Tischen der Gütler Lorenz Kinshofer von Mariabrunn und der Söldnerknecht Josef Eckart von Goldach.

Es war vormals üblich, dass die Männer die freie Zeit am Sonntag im Wirtshaus verbrachten, schon um dem Elend und den beengten Wohnverhältnissen, der Stube voller Kinder zu Hause, zu entfliehen. Und speziell am Land wurde im Wirtshaus nur Bier getrunken, zu speisen war nicht üblich, das hätten sich die Kolonisten von Hallbergmoos auch nicht leisten können. Das Wirtshaus war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Schäf(f)ersche Wirtschaft, später Gasthaus Gamenick, in der Theresienstraße, Richtung Ortsausgang, noch vor der Kirche St. Theresia, links.
Ein Gütler war der Eigentümer eines kleinen Hofes, Söldner der Besitzer einer Sölde, eines kleinen, mit arg wenig Grund versehenen „Sacherls“.
Kinshofer durchwegs ohne „d“ geschrieben, Schäffler teilweise mit und ohne „l“ und mit „ff“.

Beide machten sich schon im Laufe des Nachmittags mit ihrem Gelde groß und suchten sich in einem „Wettsaufen“ zu messen, wobei der zum Trunke geneigte Lorenz Kinshofer eine Herausforderung seitens des Josef Eckart darin erblickte, daß dieser sich Bier in einer zehn Maß, sage zehn Maß, haltenden Milchpitsche bringen ließ, weil Kinshofer aus einer 6 Maß haltenden Milchpitsche sein Bier trank.

Eine Milchpitsche ist eine große Milchkanne, die entweder zur Lagerung oder als größeres Gebinde zum Liefern der Milch an die Molkerei üblich war. In Österreich ist die Bezeichnung noch geläufig.

Die gegenseitigen Wörteleien arteten gegen Abend auch vorübergehend in Thätlichkeiten aus und es wurden herbei insbsondere Josef Eckart und Lorenz Kinshofer handgemein, allein das entschiedene Dazwischentreten des Wirthes und andere Gäste machte der Rauferei sofort wieder ein Ende.

Wirtshausraufereien waren vormals nicht selten, volkstümliches Bauerntheater machen sie noch heute gerne zum Thema, sie sollen das Publikum wohl belustigen, für die Beteiligten gingen sie aber oft nicht gut aus, wie hier auch. Ursachen für Raufereien waren neben dem übermäßigen Alkoholgenuss, der auch nur ein Mittel, um dem Elend zu entfliehen, die gerade für junge Männer gänzlich fehlenden Möglichkeiten, die knapp bemessene Freizeit sinnvoll zu verbringen. Es gab weder Sportvereine noch Fußball, nur „den Wirt“. Und wer dort regelmäßig Gast war, galt schnell als „der zum Trunke geneigte...“ wie hier Lorenz Kindshofer.
Sie wurden handgemein = sie wurden handgreiflich, gingen zu gegenseitlichen Tätlichkeiten über.

Gegen 11 Uhr Nachts wurde die Polizeistunde geboten; die Gäste entfernten sich mit Ausnahme des Schloßbaumeisters Peter Keller, des Schäfers Friedrich Eckart, mehrerer anderer Ortsnachbarn von Hallbergmoos und des Lorenz Kinshofer, welchem der Wirth Anton Schäffler rieth, entweder gar nicht oder wenigstens später als Eckart und seine Kameraden nach Hause zu gehen, weil er von diesen Gewaltthätigkeiten gegen Lorenz Kinshofer befürchtete. Er hatte dazu auch guten Grund, weil er während der Anwesenheit des Kinshofer bei zweimaligem Nachschaunen außerhalb der Wirthschaft jedesmal einen Burschen von den nicht mit Läden verschlossenen Fenstern des Zechzimmers hatte weglaufen sehen, und weil Eckart auch noch einmal ohne jede äußere Veranlassung in die Zechstube gekommen war.
Nach dreiviertelstündigem Warten verließen Lorenz Kinshofer und die noch dagebliebenen Gäste die Schäffler`sche Wirthschaft. Der Schloßbaumeister Keller schlug in Begleitung des Schäfers Keller und des Lorenz Kinshofer die Richtung nach Birkeneck ein. Als sie auf der Straße dorthin an die Stelle kamen, wo die sogenannte Ludwigstraße abzweigt, und wo das Terrain etwas ansteigt, taumelte der schwer betrunkene Lorenz Kinshofer einige Schritte gegen die Ludwigstraße zu, in welcher Josef Eckart mit noch einem Kameraden stand. Eckart sprang nun ein paar Schritte auf Kinshofer zu und versetzte demselben mit einem vom Zaune des Wirthes Schäffler losgerissenen 4 Zoll dicken Prügel einen Schlag auf den Kopf, so daß dieser zurücktaumelte, ein zweiter Streich des Eckart streckte den Kinshofer zu Boden und auf dem Boden liegend erhielt er noch 2 bis 3 weitere Schläge von Josef Eckart und zwar mit solcher Wucht, daß der Wirth, welcher die dumpfen Schläge bis ins Wirthshaus hörte, glaubte, es würde mit einem Dreschflegel auf die Tenne geschlagen.

Ein Schloßbaumeister ist kein Bauberuf, sondern der Verwalter eines Schloßgutes, hier kämen nur Birkeneck oder Erching in Frage. Vier Zoll entsprechen ca. 10 cm. Der Tatort war also die Kreuzung Theresien-/Ludwigstraße und es wird wohl kaum jemand außer den Beteiligten die Tat bemerkt haben, denn Straßenbeleuchtung war ja noch unbekannt und man ging vormals früh zu Bett, genauer auf den Strohsack, eine Zimmerbeleuchtung mit Kerzen oder Kienspan war zu teuer. Und was hätte man auch abends in der Stube noch tun sollen, die Hühner, mit denen man sie oft teilte, schliefen früh, die Kinder auch, gemeinsam singen taten höchstens die Mädchen und Frauen und lesen war nicht üblich. Das oft einzige Buch im Haus war der Katechismus und was darin zu lesen gewesen wäre, das verkündete eh der Pfarrer in der Sonntagsmesse. Auch die Kinder hatten nichts zu lesen, Schulbücher waren bis zur Wende zum 20. Jahrhundert in Landschulen kaum üblich, es reichte anfangs die Schiefertafel, später „das Heft“. Und man darf nicht vergessen, Lesen war früher gerade in Unterschichten nicht üblich, gar verpönt, denn es diente weder direkt noch indirekt dem Lebensunterhalt, sondern galt als Bürgervergnügen, als eher kurzweilige Beschäftigung der „Gschtudierten“. Und von denen versuchte sich gerade die arme Landbevölkerung abzugrenzen, nicht aus Hochmut, sondern weil sie wusste, dass sie in diesen Stand nie wird aufsteigen können.

Lorenz Kinshofer wurde im Zustande vollständiger Betäubung zunächst in den Kuhstall des Wirthes Schäffler und am darauffolgenden Tag in seine Behausung nach Mariabrunn verbracht, wo er Nachmittags 5 Uhr verschied, ohne das Bewußtsein erlangt zu haben.
Eckart ist der That geständig, empfindet aber nicht die geringste Reue über dieselbe und es geschieht ihm daher ganz recht, daß er zu 5 Jahren Gefängniß und 5 Jahren Ehrenverlust verurtheilt wurde, dort wird man ihn schon mores lehren.

Dass im Prozess nichts zu einer ärztlichen Versorgung zur Sprache kam, das deutet darauf hin, ein Arzt aus Freising wurde nicht gerufen. Er wäre der einzige gewesen, der vielleicht hätte helfen können, war aber für die Kindshofers, wie für andere Gütler in Hallbergmoos und Goldach, auch kaum bezahlbar.

Der Ehrverlust wird den Täter wohl weniger getroffen haben als das Gefängnis. Damit war primär der Verlust des Wahlrechts zum Reichstag verbunden, und nur das hatten die mind. 25 Jahre alten Männer, aber auch erst seit der Reichsgründung 1871. Das Wahlrecht zu Gemeindebevollmächtigten (Bürgermeister) und zum Bayerischen Landtag hatten nur Bürger, d.h. erwachsene Männer, die das Bürgerrecht gebührenpflichtig erworben hatten. Das kann bei Eckart, dem „Bengel“, nicht angenommen werden.
Der Ausdruck „mores lehren“ ist nicht mehr üblich; er bedeutet jemand Anstand und Benehmen beibringen, aber auch ihn zurechtweisen; nach dem lat. mos/mores = Sitte, Anstand, Moral.

Noch etwas zu Lorenz Kindshofer

Er war das dritte von neun Kindern des Kolonisten Bartholomäus Kindshofer, geb. 1806 Schernbuch (Paunzhausen), gest. 1887 Goldach, und dessen Ehefrau Ursula Decker, geb. 1809 Paunzhausen, gest. 1869 Hallbergmoos. Lorenz wurde 1834 wie die ersten sechs Geschwister noch in Schernbuch geboren, die Familie muss sich als Kolonisten zwischen 1840 und 1843 in Hallbergmoos niedergelassen haben, denn das siebte Kind, Anna, wurde 1843 in Hallbergmoos geboren. Interessant ist die Ausnahme der Kindshofers in der hohen Sterblichkeitsrate von Hallbergmoos, von den neun Geschwistern überlebten acht, nur die letztgeborene starb 1871 mit erst 17 Wochen an Zehrfieber. Diese Information verdanke ich Anton Kindshofer, der in akribischer Kleinarbeit die Matrikelbücher von Hallbergmoos entschlüsselt, transkribiert und der Forschung zur Verfügung gestellt hat. Lorenz Kindshofer ehelichte 1860 in Hallbergmoos Maria Babl, sie hatten zusammen neun Kinder, von denen drei schon im Säuglingsalter starben. Ihr achtes Kind, die Theres wurde am 9. April 1875 geboren und war also gerade ein halbes Jahr alt, als ihr Vater so tragisch ums Leben kam. Was aus der Restfamilie ohne ihren Ernährer wurde, dazu schweigen die Quellen, möglicherweise heiratete die Witwe Maria wieder, denn es sind Geburten von Kindshofer in Mariabrunn nach 1875 in den Matrikelbüchern zu finden. Immerhin hatten sie eine Bleibe, denn das Haus Nr. 48 in Hallbergmoos war in ihrem Besitz. Ob es das des Vaters Matthäus war, das war nicht zu ermitteln, der starb 1887 mit 81 Jahren im Armenhaus der Gemeinde.

Lorenz Kindshofer war nicht der einzige, der in Hallbergmoos gewaltsam zu Tode kam, es sind im 19. Jahrhundert noch mindestens zwei weitere Personen, ihnen gelten die beiden nächsten Berichte.

 Hallbergmoos um 1875
Hallbergmoos um 1875

Besiedelt sind erst Theresien-, Maximilian-, Ludwig- und Mathildenstraße, die Theresienstraße von der Mathildenstraße bis zur Straße nach Birkeneck nur an der Westseite. Am rot geränderten Bereich unten beginnt das Dorf Goldach, Gemeinde Notzing.

 

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