Ermordung der eigenen fünf Kinder durch ihre Mutter

Die Wahnsinnstat der Maria Heilmeier am 1. Januar 1903 ist in zwei Artikeln des Freisinger Tagblatts festgehalten, die nachfolgend Tat und Beerdigung schildern.

Hinweis: Die hier dargestellte Berichterstattung in der Zeitung weicht im Stil erheblich von der heutigen Berichterstattung in den öffentlichen Medien ab. Das  Lesen des Artikels kann bei sensiblen Menschen verstörend wirken.

Der originale, sowie die besser lesbare Abschrift sind hier wiedergegeben.

Grauenhafte Tat einer Wahnsinningen
Hallbergmoos, 1. Januar

In größter Aufregung und Bestürzung wurde heute Vormittag unser Ort versetzt, indem sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitete, daß die Gütlerswitwe Maria Heilmeier in einem Anfalle von geistiger Störung ihre fünf Kinder mit einem scharf geschliffenen Handbeile getötet hat. Leider bestätigte sich diese Nachricht in ihrem vollen Umfang. Vormittags zwischen ½10 und 10 Uhr streute Frau Heilmeier Kaffeebohnen auf den Zimmerboden und beauftragte ihre fünf Kinder, sie sollen dieselben sammeln. Während die Kinder mit dieser Arbeit beschäftigt waren, ergriff sie das Handbeil und tötete nacheinander dieselben. Die Kinder standen im Alter von 4, 6, 7, 9 und 10 Jahren. Der vierjährigen Rosina und der siebenjährigen Therese trennte die wahnsinnige Mutter tatsächlich den Kopf vom Rumpfe. Als die im ersten Stocke Wohnenden herbeikamen, war die schauerliche Tat bereits vollendet. Nachmittags 4 Uhr wurde die Unglückliche in das Distriktskrankenhaus nach Freising und heute Vormittag halb 11 Uhr in eine Zwangsjacke gesteckt in die Irrenanstalt Gabersee verbracht. Sie benahm sich auf dem Transporte zum Bahnhofe sowei beim Einsteigen in den Zug sehr ruhig.

Frau Heilmeier liebte ihre Kinder stets sehr; nur ab und zu äußerte sie Selbstmordgedanken aus vermeintlicher Notlage, die aber nicht gegeben war. Vor etwa zwei Jahren verunglückte ihr Mann, der Zimmermann war, bei einem Baue in Achering. Die Frau bezog seit dieser Zeit 50 Mark Unfallrente pro Monat. Sie selbst war überaus arbeitssam. Die Heilmeier'schen Eheleute waren früher in Freising und besaßen ein Anwesen in der Sonnenstraße.

Im Folgenden ist wieder der originale und die Abschrift eines Artikels aus dem Freisinger Tagblatt abgedruckt, welche nach der Beerdigung der Kinder verfasst wurde. Dieser nachfolgende Zeitungsartikel ist dem Tagblatt 1903 Nr. 4 Seite 2 entnommen, den mir freundlicherweise das Stadtarchiv Freising kopiert hat. Die in der Abschrift vorhandenen ??? zeigen die Stellen an, die vom Original nicht deutlich gelesen werden konnten.

Der Schlussakt im Hallbergmooser Drama.

Gestern Sonntag Vormittag halb 9 Uhr fand in Hallbergmoos die Beerdigung der fünf von ihrer wahnsinnig gewordenen Mutter getöteten Heilmeier-Kinder statt. Der Beerdigungsakt, zu dem sich Leidtragende von Nah und Fern in großer Zahl eingefunden hatten, zerfiel in zwei Teile. Zuerst wurden die drei größeren Kinder (Helene, Amalie und Rosa) in das gemeinsame an der Mauer gegenüber dem Eingange zur Kirche gelegene Grab gesenkt; nach den kirchlichen Funktionen folgte der zweite Trauerzug; es wurden die beiden Kinder Therese und Ludwig der geweihten Erde übergeben. Nachdem wiederum die rituellen Gebete verrichtet worden waren, ergriff Hochw. Herr Pfarrer Eicher von Hallbergmoos das Wort zur Trauerrede, wobei er folgendes sprach:

„Geehrte Trauerversammlung! Tieferschütterten, schmerzbewegten Herzens stehen wir an diesem Grabe, das die Leichen von fünf Kindern im Alter von 4, 5½, 7, 9 und 11 Jahren aufgenommen hat. Eine Bluttat, entsetzlich und grauenhaft, wie wir sie nie geschaut, wie sie glücklicherweise in weiten Landen nur selten sich ereignet, hat den Neujahrstag 1903 unauslöschlich in unser Gedächtnis eingegraben. Fast ist es unmöglich, an diesem offenen Grabe über diese schreckliche Tat zu sprechen. Wir waren beim festtäglichen Gottesdienst versammelt, als die Gütlerswitwe Marie Heilmeier, die unselige Mutter, alle Vorbereitungen zur Ermordung ihrer Kinder traf. Es ist Euch bekannt, in welcher Weise. Nach dem Gottesdienste war ich besorgt für die Kinder, da ich Tags vorher gehört, dass die Mutter nicht kochen wollte, suchte im Schulhause den Bürgermeister auf und wollte den Kindern dann eine Anweisung geben, daß sie beim Wirt sich das Essen holen könnten, falls die Mutter nichts gerichtet. Heimgekommen, machte ich mich nach dem Frühstück auf den Weg, um selber nachzusehen. Auf die Straße gekommen, hörte ich bald die schauerliche Kunde: die Heilmeier hat ihren Kindern die Köpfe abgeschlagen. Eine unglaubliche Botschaft fast, die das Blut in den Adern erstarren machen konnte. Als eine rohe Menschenseele, den blutigen Kopf eines Kindes auf der Straße zeigte, wandte ich mich um, ich konnte mich nicht entschließen, das blutige Schauspiel zu sehen. Da sagte jemand, daß ein Kind noch lebe; nun rief die Pflicht. Ich ließ holen was nötig war und konnte noch drei Kindern, den zwei großen Mächen und dem Knaben, die letzte Oelung spenden. Es genügen in solchen Fällen die Salbungen mit heiligem Oel auf der Stirne, wobei gesprochen wird: „Durch diese heilige Salbung und durch seine übergroße Barmherzigkeit verzeihe dir der Herr, was du gesündigt hast mit deinen Sinnen." Aber kaum konnte ich ein Fleckchen auf der Stirne der Kinder finden, das nicht dicht mit Blut überronnen war. Welch' ein Anblick in der Stube! Zwei blutige Köpfe von den Körpern fern liegend, dort sterbende Kinder mit zertümmerten Schädeln, alles im Blute schwimmend, vor den Kindern kauert die unselige Mutter, die Toten und Sterbenden anstarrend. Nachmittag 3 Uhr starb das letzte Kind und nun ruhen sie hier; Kinder, die, wenn sie auch Kinderfehler in Haus und Schule hatten, doch als brav bezeichnet werden müssen, Kinder, das muß ich gestehen, die gut gezogen und von der Mutter schon als ganz klein das Beten gelernt hatten, auf welches die Mutter sehr stolz gewesen ist, die sie mit wirklicher Mutterliebe geliebt, mitunter nur zu sehr ihnen diese Liebe gezeigt. Manchmal kam sie zu mir, wenn sie meinte, daß ihre Kinder in der Schule unrecht oder zu viel gestraft würden. Ich selber konnte nie vor dem Hause vorbeikommen, ohne daß alle fünf herausgingen oder noch nachliefen und auch das kleine Reschen sagte schon den Gruß: „Gelobt sei Jesus!" Diese Kinder hat die Mutter nun gemordet. Was hat sie dazu bewogen? Armut und Not? Nein! Die Mutter bezog für sich und ihre Kinder 49 Mk. 40 Pfg. monatliche Rente; es ist bekannt, daß sie am Neujahrstage eine größere Summe Geldes in mein Haus brachte. Und als am Abend vorher, an dem ich gegen 7 Uhr in das Haus kam, um mich zu überzeugen von der Wahrheit dessen, was ich am Vomittag gehört, daß sie ihre Kinder hungrig in das Bett gehen lasse, sie fragte, ob sie denn nichts habe, sagte sie: „O wir haben alles! Geld, alles haben wir." Not war es nicht. Aber wie alle wissen, sie war zu gewissen Zeiten aufgeregt und schwer zu beruhigen. Körperliches und geistigen Leiden war jedenfalls W???sache an der schrecklichen Tag. Damit verband sich noch eine Leidenschaft, eine Laster: die Habsucht, die Gier nach Geld, der Geiz; sie wollte nichts ausgeben, in der Meinung, es könnte nicht reichen. Als sie am Neujahrstage in mein Haus kam und ihr Kaffee angeboten, sagte sie, was mir die Leute schenken, das schmeckt mir, aber kaufen tue ich nichts. Die Angst, die Kinder könnten das vorhandene Geld mit der Zeit aufbrauchen und dann müßte sie in Not und Elend leben, brachte ihr den Wahn bei, sie könne durch die Ermordung der Kinder besser auskommen. Ich glaube nicht, daß ich bei den gegebenen Umständen mit dieser Erklärung irre. Und nun liegen sie da, fünf Kinder hingemordet durch die Mutter; wir beklagen euren grausamen Tod. Aber wir sind nicht hier als solche, die keine Hoffnung haben; ich hoffe sicher, daß Gott euch barmherzig gewesen und ihr alsbald, wenn es noch nicht geschehen konnte, eingehen werdet zur himmlischen Seligkeit. Darum bitte ich, gute Kinder: betet für eure Mutter, die viel unglücklicher ist, als ihr. Laßt euer Blut hinaussteigen zum Himmel nicht als einen Schrei um Rache, sondern als Ruf um Barmherzigkeit, als ein Flehen um Gnade für die, welche euch das Leben gegeben, in guten Tagen euch für den Himmel erzogen, beten und vieles Gute gelernt hat, nun freilich auch mit grausamer Hand das Leben euch genommen hat. Betet für die Mutter! Möge der Himmel sich öffnen für euch. Wir selbst aber wollen noch an diesem Grabe für die Seelenruhe dieser Kinder beten."

Einige Einzelheiten über die grauenvolle Tat seien hier noch mitgeteilt: Die Gütlerswitwe Heilmeier war schon seit langer Zeit immer sehr aufgeregt, außerdem überaus geizig, habsüchtig und mißtrauisch. An dem kritischen Neujahrstage ging sie morgens zum Herrn Pfarrer und übergabe ihm 910 Mark; nach dem Gottesdienste wollte der Pfarrherr selbst nachsehen, da er bereits erführ, daß die Kinder Heilmeier sehr dürftig genährt wurden und dafür sorgen, daß die Kinder anderwärts die erforderliche Nahrung erhielten. Die im gleichen Hause, Ludwigstraße 19½, über eine Stiege wohnenden Tagelöhners-Eheleute Paulus gingen am genannten Tage nicht mitsammen in die Kirche, da sie Unheil fürchteten, jedoch nur in dem Sinnen einer Feuergefahr oder dergleichen. Während der Kirchen??? sah Frau Paulus des Oefteren nach, ohne etwas Besonderes zu beobachten; nur beim letzten Besuch entnahm sie der Heilmeier Nähnadeln, welche ??? verschlucken wollte. Als Paulus von der Kirche in seine Wohnung zurückgekehrt war, hörten er und seine Frau einen einzigen dumpfen Schlag. Daraufhin eilten sie sofort in die Parterrewohnung der Heilmeier; ein schauderhafter Anblick bot sich ihnen ??? die Körper der beiden geköpften Kinder lagen neben der Eingangstüre im Blute schwimmend; in einer Ecke des Zimmers deren Köpfe; die übrigen erschlagenen Kinder zerstreut im Zimmer herum. Inmitten derselben kniete die unglückliche Mutter, gerade im Begriffe, dem dritten Kinde den Kopf abzuschlagen, woran sie jedoch verhindert wurde; auf alle an sie gerichteten Fragen gab sie keine Antwort. Dann erhob sie sich und ging bis zur Wand zurück, wo sie ruhig stehen blieb. In der Nebenkammer wurde sie sodann an Händen und Füssen mit Stricken gebunden. Sehr stark wehrte sie sich bei Anlegung der Zwangsjacke, stieß dann frohlockende Schreie und wieder ??? Drohungen aus. Auf dem Transporte nach Gabersee war die Wahnsinnige bis zur Station Wasserburg ruhig; auf dem Wege von dort zur Irrenanstalt ??? verletzte sie sich; die auf der Straße stehenden Telegrafenstangen hielt sie für Galgen. U. A. äußerte sie auch, jetzt würde sie ihre Kinder nicht mehr töten, wenn sie dies nicht schon getan hätte.

Das Zimmer, in welchen die Bluttat geschah, machte einen Eindruck, daß sich die Feder sträubt bei der genauen Schilderung. Außer den beiden geköpften Kindern, deren Köpfe in einer weiten Blutlache lagen, wies das älteste Kind einen furchtbaren Hieb auf, der darauf schließen läßt, daß das Kiind eben aufschauen wollte, als es der Hieb in das Gesicht traf und dieses von rechts nach links spaltete. Die zwei anderen Kinder hatten schwere Verletzungen der Schädeldecke; einen derselben, einem Mädchen war der Zopf geradezu skalpiert. Die Kinder sind durchwegs hübsch und gut entwickelt. Schon vor einigen Tagen kam die Heilmeier zu Leuten, den sie verschlossene Sachen zum Aufbewahren gab mit der Motivierung, daß sie eingesperrt werde, da sie eine Bluttat begehen werde.

Zu den Relationen der 50 Mark Unfallrente für sich und die fünf Kinder einige Angaben aus dem Internet:

Der Stundenlohn 1904 betrug 14 Pfennig oder 0,14 Mark. Der ungefähre Umrechnungsfaktor von 1900 auf 2013 liegt bei 1 Mark zu 7 Euro, sodass man heute von ca. 350 Euro Rente ausgehen kann.

Einige Preise von 1900:

1 Liter Bier  0,24 Mark,
1 kg Butter  1,86 Mark,
1 kg Kaffee  4,18 Mark,
1 Liter Milch  0,20 Mark.

 

Karl-Heinz Zenker

Hallbergmoos im Juli 2021